Herr Gröger, Sie sind seit vielen Jahren als Lehrer und zugleich als Schulseelsorger am bischöflichen Berufskolleg St. Michael in Ahlen tätig. Wie erleben Sie diese „Doppelrolle“?
Meine Doppelrolle erlebe ich nicht als Widerspruch, sondern als wertvolle Ergänzung. Gerade weil ich ein Teil des Systems Schule und zudem täglich präsent bin, vermag ich auftretende Spannungsfelder mit wachen Augen genauer zu fokussieren, als es einem Außenstehenden möglich wäre. Auch die Schüler vermögen bewusst zu unterscheiden und wissen, in welcher Rolle sie mich ansprechen, ob als Lehrer oder als Schulseelsorger. Eine Schulseelsorgetätigkeit ohne intensive unterrichtliche und kollegiale Einbindung – insbesondere auch als Religionslehrer – kann ich mir nur schwer vorstellen.
Was hat Sie bewogen, dieses Buch über Schulseelsorge zu schreiben?
Schon seit längerer Zeit hatte ich die Idee, die überaus positiven Erfahrungen aus dem Bereich der Schulseelsorge an Interessierte weiterzugeben, sie zu teilen. Mit der Entschleunigung in der Zeit der Corona-Pandemie (Lockdown) öffnete sich ein Zeitfenster, um dieses Vorhaben umzusetzen.
Wie erleben Sie die jungen Menschen von heute, insbesondere ihr Verhältnis zu Glauben und Kirche?
Die Jugendlichen haben nach wie vor ein großes Interesse an existenziellen Fragen (Liebe, Freundschaft, Krankheit, Tod…). Auf der Suche nach Antworten stellt der Glaube eine gute Gesprächsoption dar.
Schwieriger gestaltet sich für viele Jugendliche der Kontakt zur eigenen Orts-/Wohngemeinde. In der Zeit der ‚Entkirchlichung‘ des Glaubens ist die Ortsgemeinde für sie keine Bezugsgröße mehr; der Kontakt zur Ortsgemeinde ist oft abgebrochen. In der von Anonymität geprägten Großgemeindepastoral finden sie wenig Anknüpfungspunkte. Sie erkennen keine Verbindung zu ihrer Lebenswelt, ihren Fragen, Ängsten, Leidenschaften und Lebensentwürfen. Zusätzlich hat die auf den Missbrauchsskandal zurückzuführende Krise der Kirche tiefe Spuren hinterlassen…
Wie kann es aus Ihrer Erfahrung gelingen, die Schülerinnen und Schüler zu einem ehrlichen Gespräch über ihre Probleme, Ängste und Sorgen zu ermutigen?
Indem wir als „Beratungsteam der Schule“, bestehend aus Beratungslehrer, Schulsozialarbeiter und Schulseelsorger eine professionelle Hilfestellung anbieten.
Warum ist Ihnen der Aspekt einer „hörenden“ Schulseelsorge so wichtig?
Für die pastorale Arbeit werden oft große Konzepte entwickelt und festgeschrieben – auch für die Schulseelsorge am Berufskolleg St. Michael geschah dies im Rahmen meiner Ausbildung zum Schulseelsorger. So wichtig wie derartige Konzepte sind und Orientierung verschaffen, im Mittelpunkt der Seelsorge steht immer der einzelne Mensch mit seinen eigenen Anfragen. Nur durch die Fokussierung auf den Nächsten, durch das genaue Zuhören erfahre ich von dem, was die Menschen bewegt, was ihre Sorgen, Ängste, Freuden, Sehnsüchte und Hoffnungen sind. Dazu bedarf es einer Einübung in eine Grundhaltung, die nicht bereits beim Hören dem Versuch einer Antwort unterliegt. Aufmerksam dafür zu sein, was nicht direkt ausgesprochen wird, aber innerlich mitschwingt. Nur durch ein derartiges Hören kann ich erfahren, was Gott für heute von uns und unseren Nächsten will.
Welche Bedeutungen haben Kooperationen für Ihre schulseelsorgliche Tätigkeit?
Für mich ist eine schulseelsorgliche Tätigkeit ohne Kooperationen undenkbar! So haben wir zum Beispiel mit der Kirchengemeinde St. Bartholomäus in Ahlen im Jahr 2015 einen Kooperationsvertrag geschlossen, nachdem wir schon zuvor über viele Jahre miteinander im Kontakt standen. In einem wertschätzenden und völlig unkomplizierten Miteinander sind über die Jahre hinweg Schule und Kirchengemeinde eng zusammengerückt. Für diese Erfahrung bin ich überaus dankbar.
Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen Bildungseinrichtungen im Bistum, mit denen wir zusammenarbeiten. In besonderer Weise möchte ich an dieser Stelle die Jugendburg Gemen/Borken hervorheben, wo wir seit dem Jahr 2005 mit unseren jeweiligen Unterstufen jährlich die „Tage religiöser Orientierung“ durchführen. Der dort vom Burgteam ausgehende „gute (Burg-) Geist“ ist unbezahlbar. Ähnliche tolle Erfahrungen haben wir auch mit den Teamern aus dem „Netzwerk TrO“ von unserem Bistum gemacht, die die Schüler während der TrO begleiten. Ihre sinnstiftende Arbeit kann ich immer wieder nur mit großer Dankbarkeit lobend hervorheben.
Aber auch Kooperationen mit anderen Schulseelsorgern, sei es mit dem Schulseelsorger am benachbarten Gymnasium St. Michael in Ahlen oder auch mit jenen, die an den anderen berufsbildenden Schulen im Bistum tätig sind, haben einen hohen Stellenwert, da sie sich durch Synergieeffekte auszahlen.